Aktion  Kanzlers Hofnarr

 Des Kanzlers Hofnarr

 
 
Hajo Dreyfuß
als Stimme
der Machtlosen
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Hajo Dreyfuß ist überzeugt, dass
ein Hofnarr allen Regierenden in
der Welt gut anstünde.
In bewegten Zeiten gedeihen wunderliche Blüten. Während ein geeintes Europa Wirklichkeit wird und Deutschland sich räkelnd und unwillig auf Reformkurs begibt, besinnt sich ein Schauspieler namens Hajo Dreyfuß auf historische Wurzeln und bewirbt sich beim Bundeskanzler um das Amt des Hofnarren.
Dass es dieses Amt schon seit langer Zeit nicht mehr gibt, dass ein Hofnarr eigentlich an die Seite eines Feudalherrschers gehört, und daß ein quirliger Spaßmacher neben einem seriösen demokratisch gewählten Repräsentanten womöglich etwas unpassend wirken könnte, stört ihn dabei herzlich wenig. Denn einerseits ziele die Funktion aller Regierenden auf eine durchaus vergleichbare Position.
"Andererseits", so Dreyfuß, "ist ein professioneller Spötter schon weit Geringeren unbedingt anzuempfehlen: Die Staatskosten so mancher kapitalen Blamage hätten durch ein bissiges Bonmot zur rechten Zeit noch auf einem herzhaften Gelächter gehalten werden können."
Genaugenommen, meint Dreyfuß, sei es durchaus sinnvoll und angemessen, jedem einzelnen Entscheidungsträger ab einer gewissen Führungsebene einen persönlichen Hofnarren beizugeben. Derlei sei ausgesprochen hilfreich gegen "Betriebsblindheit auf hohem Niveau" und der notwendigen Bodenhaftung sehr dienlich. Leider, fährt er fort, fehle hierzu nicht nur die allgemeine Einsicht, sondern auch fähiges Personal in genügender Menge.
Angesichts der weltweit dichter werdenden Machtfülle - und damit wachsender Entfernung zwischen jenen, die Entscheidungen treffen und denen, die sie tragen - sei es überdies gar nicht verwunderlich, wenn jegliche Bevölkerung sich immer deutlicher als ohnmächtig erlebe und zunehmender Unmut immer häufiger als "sozialer Sprengstoff" bezeichnet werde. Auch und gerade hier biete die Figur des klassischen Hofnarren als "Stimme der Machtlosen" ein bislang ungenutztes Ventil - und damit einen unschätzbaren Vorteil von hohem politischen und sozialen Wert.
Braucht der Kanzler einen Narren?
Gäbe es bereits ein solches Amt, schließt Dreyfuß, böten sich auf Anhieb unzählige Beispiele, Anlässe und Gelegenheiten, mit denen sich der Nutzen und die Notwendigkeit des "Narren an des Kanzlers Hof" beweisen ließen. Da bislang aber niemand auf diese naheliegende Idee verfallen sei, müsse er nun eben selbst tätig werden und sich persönlich dafür einsetzen, dass dieser Posten im Land der stolzen Burgen und Schlösser endlich wieder eingerichtet werde.
Dreyfuß gehe es übrigens keineswegs darum, die Person des Bundeskanzlers in irgendeiner Form bloßzustellen: "Des Hofnarren öffentlicher Spott trifft alles und jeden - nur nicht seinen Herrn. Der genießt das Privileg, die eigenen mehr oder minder verdienten Spitzen in privatem Rahmen zu erfahren."
Außerdem sehe Dreyfuß seine Bewerbung gar nicht persönlich, sondern als notwendiges Angebot zur Bereicherung der politischen Landschaft: "Die Globalisierung schafft für einen Hofnarren ein sehr großes Feld, das erst einmal beackert sein will." Wenn er denn schon sein persönliches Verhältnis benennen müßte, dann würde er es am ehesten als "kollegial" bezeichnen: "So sieht ein Hofnarr seinen Herrn: als ebenbürtig."
Wider die Lobby löcken
Befragt man Hajo Dreyfuß nach seinen politischen Beweggründen, gibt er sich "überwiegend neutral, allerdings mit humanistischen Grundwerten." Vereinnahmen lasse er sich jedoch nicht: "Ich wäre wohl in jeder Partei ein Abweichler." Darüber hinaus sieht er sich fern aller Gelüste nach Macht oder Reichtum. "Natürlich möchte ich, daß mich der Job gut ernährt und kleidet. Aber ich habe nur diesen einen kleinen meinen Hintern, um ihn in einer teuren Hose spazieren zu tragen. Und politische Macht gehört nicht in Narrenhände. So einfach ist das." Dieses Bewußtsein habe ihm bislang geholfen, bescheiden zu bleiben, und er sei für kommende Tage sehr zuversichtlich, "wenn es gilt, wider die Lobby zu löcken."
Seine Befähigung für das angestrebte Amt sieht der 45jährige als hinlänglich bewiesen an. Immerhin arbeitet der partei- und konfessionslose Münsterländer seit etlichen Jahren hauptberuflich auf historischen Festen und so genannten "Mittelalter-Märkten" - übrigens als Hofnarr.

Der mittelalterliche Narr
Der deutsche Begriff "Narr" ist seit dem hohen Mittelalter belegt und bezieht sich ursprünglich auf ein missratenes menschliches Wesen. Seit dem späten Mittelalter verstand man unter Narren Personen, die in irgendeiner Weise von den gesellschaftlichen Normen abwichen, vor allem hinsichtlich der christlichen Heilslehre, aber auch durch körperliche und geistige Defekte. Es wurde zwischen solchen Narren unterschieden, die ihr Rollen lediglich spielten und solchen, die tatsächlich als "nicht normal" galten. Einige Narren konnten als Hofnarren eine besondere Stellung erlangen. Sie waren weniger Komiker als vielmehr Mahner ihrer Herren und genossen an deren Höfen die berühmte Narrenfreiheit. Erst am Ende des Mittelalters wurde der Hofnarr primär zum Spaßmacher der Mächtigen.
Anfangs wurde der Narr mit einer Keule abgebildet, die das Gegenstück zum Szepter König Davids darstellen sollte. Daraus wurde später die Stabpuppe, die "Marotte", als Abbild des Narren.

 
Pax et Gaudium
Nr 16, August 2004
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Text :  Sabina Schult
Bild :  Maxx Hoenow