Ernstliche Gemahnung

 

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Wenn Euch heut' auf dem Marktplatze ein hinkender Wicht jäh den Weg verstellen und von Euch fordern sollte, Ihr möget getrost eine herzhafte Probe seiner erlesenen Spezereien verköstigen, so merket auf, ob der dreiste Geselle nicht etwan lange Eselsohren an seiner Kappe und etliche Schellen an seinem Stabe trägt.

 Narr im Ganzen

Diesenfalls wäret ihr nämlich im Begriffe, einem Narren aufzusitzen, einwelcher Euch günstigenfalls Stroh für Gold feilhält und der es überdies beklagenswerterweise trefflich versteht, Euer eigen Wort flugs wider Euch zu kehren, aufdaß Ihr alsbald dem Gespött der Menge preisgegeben sein könntet.

 
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Dabei ist Dreyfuß, wie der lose Schelm hierorts genennet wird, jedoch nicht gänzlich bei Troste. Dies mag daher rühren, daß ihn dereinst, als er noch ein zarter Knabe gewesen, eines tückischen Esels Huf unversehens an empfindsamer Stelle getroffen und dem Kinde somit binnen weniger Augenblicke zunächst die Weltsicht der Vögel wie auch sogleich die der Maulwürfe eröffnet hatte.

 Narren-Flug

Dieses Ereignis mag des armen Knaben Witz so zerzaust haben wie die derbe Landung seinen Leib, doch blieb des geschundenen Kindes Gemüt auch fürderhin ungebrochen und heiter. So erschien es Dreyfuß, wie er wegen seines Steckens fortan beigenannt ward, nur recht und billig, sich mit Haut und Haaren des ob diesen Zwischenfalles alsbald zu Plockwurst verwendeten Esels zu gewanden und der Weisheit dieser Welt fortan die unbestechliche Logik der Narretei zu entgegnen.

Seit jenem Tage nun sieht man den frechen Knirps allenthalben mit schier unbändiger Lebenslust just solcherlei Dinge tun, wie sie ernsthaften und wohlanständigen Bürgern aus höchlich erwachsenen und vernünftigen Gründen wohl kaum in den Sinn kämen und wie sie bestenfalls noch Kindern zustünden.

 
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Des Dreyfuß Wirkungsfeld, und darum richte ich mein mahnend Wort an Euch, ist die emsig wimmelnde Welt just des Marktplatzes, den zu besuchen Ihr Euch womöglich eben anschicket. Dort, zwischen all den Werkstätten und Verkaufsständen streunt der närrische Wicht inmitten der geschäftigen Menschenmassen tagaus, tagein herum und heckt zur Erheiterung des gemeinen Volkes stets neuen Schabernack, possierliche Schelmereiein und zumeist harmlose Narrenstreiche aus.

Allerdings werdet Ihr ihn aus gutem Grunde kaum beim Bällewerfen, bei der Akrobatik oder gar beim Musizieren erleben, welche Kunstfertigkeiten er als staunender Zuschauer stets neidlos und mit weit offenem Munde bewundert.

 Narren-Jonglage

Hingegen sucht sich des Dreyfuß verschrobener Narrensinn stets neuerliche Schrullen und unerwartete Grillen, die Menschen zu erheitern, um so manch leckeren Happen, vorzüglich aus zarter Hand, zu erheischen.

 
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Der Ehrlichkeit halber darf Euch nicht verschweigen werden, daß das kleine Kerlchen nicht alleine nur frech, sondern auch stets ganz besonders hungrig ist. Dieser schmächtige Tunichtgut ist, mit günstigem Verlaub gesagt, schlichterwegs ganz mörderisch verfressen.

Hinzu kommt noch der bedauerliche Umstand, daß Dreyfuß es nicht im Mindesten als Unart empfindet, betuchten Edelfrauen oder feisten Schlemmern die Bissen im Munde zu zählen.

 Narren-Appetit

Man vergebe ihm – sofern er anläßlich der innig ersehnten Einladung noch etwas übrig läßt.

Und sollte der unerfindliche Wille des HERRN es im übrigen fügen, daß hochgeborener Besuch sich an der Stätten einfinde, ... – so wird sich dessen Hofstaat alsbald schon wie durch Wunderkraft um einen kleinen hinkenden Narren vermehren, der jedem Herren zu dienen gerne bereit ist (sofern dabei etwas Eßbares für ihn abfällt).

 
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Manch seltenen Tages kommt es vor, daß es selbst dem redefreudigen Narren Dreyfuß im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlägt. Dann will es scheinen, als ob solch mächtige und gewaltige Gedanken durch sein wirres Narrenhirn flausterten, daß keines Menschen Wort sie zu fassen vermöchte.

 Narren-Predigt

Dies bedeutet allerdings leider nicht, daß er dann ganz still und stumm einherginge – womöglich hoher Andacht schwanger – und die Welt zumindest diesen einen Tag lang ihre Ruhe hätte.

Das schiere Gegenteil ist der Fall: Um seine Possen weiterhin unter die Menschheit zu bringen, gesellt Dreyfuß seinem ohnehin beredten Minenspiel nunmehr eine solche Vielzahl gutturaler Lautschöpfungen hinzu, daß man alsbald schon inniglich wünscht, er fände schleunigst seine Sprache wieder.

 
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Wie Ihr sicherlich wisset, ist ein Narr frei und keines Herren Knecht. So nun aber ein ferner Fürst, ein Bischof, Schultheiß oder Marktvogt der geschilderten Bedenklichkeiten eines solchen Vorhabens zum Trotz erwöge, des frechen Kerlchens habhaft werden zu wollen, da es ihn gelüstet, seine Stätten, seine Tafel oder schlicht sich selbst mit dem "Esel des Mittelalters" zu schmücken ...

 Narr der Könige

... sei Euch hier noch bündig vermeldet, daß des Narren Vormund diesen gelegentlich und nur allzu gerne für kurze Zeit entlehnt – ist er doch zumindest an solchen Tagen vor Dreyfußens Streichen sicher.

 
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Und nun saget bitte nicht, Ihr wäret nicht ermahnt worden.

 

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