Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Eine Randnotiz von hajo. Dreyfuß
Das nichts Sagendste
reformierte Notizen – eine kleine Kost- und Schreibprobe nach den neuen Regeln, die uns die Reform der Rechtschreibung für Schulen und Amtsstuben beschert hat:
Empfänger von Briefen werden neuerdings hoch geschätzt und folglich in der Anrede kleingeschrieben. Im Liebesbrief sollte die heiß geliebte Freundin besser nicht allzu heiß ersehnt werden: Sollte sie, den höchst tief schürfenden Brief von gestern Abend erst heute früh lesend, das Ekel erregend finden, weiß niemand genau, ob sie nach der Lektüre wieder zu erkennen ist – oder ob wir den Galan am Dienstagabend schon allein stehend vorfinden.
Der Innenminister nahm den schwarzen Peter, entschied (anstelle der Dienst habenden Minister), und bekam vor Gericht darin Recht, dass die Reform es nicht Allen recht machen müsse. Da das Gleiche eben nicht dasselbe ist, darf Lernen weiterhin wehtun. Den Blauen Planeten hier zu Lande mehr zu ehren als die hohe Schule des goldenen Schnitts oder gar den blauen Montag, könnte dem hohen Haus allerdings noch Leid tun.
Immerhin bescheren uns die e–xakten Trennregeln Neuerungen zuhauf, wie Zu–cker und Seei–gel im Bi–omüll; die neuen Räte Demok–rat, Aristok–rat und Kast–rat können beim Feiern mit einer Lust–ration süffigem Zent–rum und lautem Pros–tata beo–bachtet werden, draußen kommt die karge Demonst–ration unter die Kont–rolle, und fernab wiede–rum freut sich die Fauna am Zuwachs durch Waldi–dylle und Walda–meise. In der Repub–lik bleibt indes das Pu–blikum dasselbe.
Allerdings gibt es neue Essstörungen: Ob der Basssänger nach dem letzten Kuss im Bus nur aus Spaß Gas gab und Mus mit Glas aß, sei dahin gestellt; die Bissspuren weisen jedoch auf Missstimmung wegen Leseflussstörungen im inneren 'Dreierle' hin.
Vielleicht hatte er aber nur Spagetti mit Tunfisch gegessen und nirgendwo Ketschup oder Majonäse dazu bekommen. Natürlich war kein Delfin in der Dose gewesen. Das gibt es nur in der Fantasie. Die schreiben die Griechen (wie bei Fon oder Foto) übrigens mit "Phi". Das gibt es bei uns nicht, also sprechen wir "F", und schreiben das auch so. Das Phantom der Phrase ist folglich nur ein Phantasma. Das griechische "Theta" gibt es hier zwar auch nicht, auch spricht hier niemand "th" als englisches "Ti-Äitsch" aus , aber das ist eben etwas ganz Anderes. Deshalb heißt es auch völlig logisch: "Orthografie". Und darum bleiben uns in der Synthese Diphthong, Rhythmus und Chrysantheme für die Koryphäen der Philosophie erhalten.
Über das Quäntchen tollpatschige Etymogelei rege ich mich gar nicht nicht erst auf: Der uns mit gräulichen Stängeln einbläuen wollte, dass man in den Zierrat nicht schnäuzen darf, steht nun recht belämmert da und hat das gesamte Kollegium blamiert.
Übrigens: Ich empfehle den Reformatoren nicht zu widersprechen – wenn es um das Komma geht. Es erschließt sich neuer Sinn durch blanke Auslassung und Abstraktion in die Klassenarbeit eingefügt wird zur Rettung wertvoller Punkte. Hier wird Unterlassung zur Investition in Zukunft und Sinn eine Kunstfrage.

P.S.: Bei soviel Blassfemie auf einem Blatte fehlt doch eigentlich noch eine alptraumatische Szenerie für die Rückseite dieses Zettels. Es fallen mir spontan noch eine Hand voll hybsche neu–e Fehlerchen ein die den Punktgewinn bei "ss" und Komma wieder zur Nichte machen: "Ich bitte Schuld bewusst, Länder übergreifende Verträge bis hin zum schwarzen Meer still zu legen. Freundliche Grüsse Ed Cetera."
3. August 2004