Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Ein Hirnlüftchen von hajo. Dreyfuß
Familien-Ministerin
   
Himmel, hilf!
 
"Bündnis für
Erziehung"
 
Bundes-Pressekonferenz

Wenn es den Menschen schlecht geht, fangen sie wieder an, zu beten.
Wenn es Vater Staat schlecht geht, bittet er Mutter Kirche um Hilfe.

Väterchen Staat geht es gar nicht gut. Der Arme ist so miserabel, daß er die Gegenwart kaum bewältigt, und so vernachlässigt er immerhin seit Jahrzehnten konsequent seine Zukunft. Die wird zwar massiv angepumpt, aber direkte Investionen in die Kinder bleiben aus. Die bekommen ab und an medienwirksam ein Töpfchen, da es für einen wirksamen Etat alle Jahre wieder einmal nicht gereicht hat. Die systematische Knappheit bei Kita-Plätzen hat im Westen eine lange Tradition, und die Lage der Bildungs-Einrichtungen läßt keine Zweifel aufkommen, wer gefördert – und wer als unerwünschter Ballast betrachtet wird. In den Spitzenpositionen indes setzen sich in Politik und Wirtschaft der Starke und der Gewissenlose durch. Das sagt mehr aus als der gesamte Unterrichtsstoff aller sozial orientierten Schulfächer zusammen. Lernen unsere Kinder dann aus dem, was sie täglich sehen, sind Überraschung und Jammer groß.

Nun sollen es die Kirchen richten. Gerade bei den Kindern tragen die ja bekanntlich einen beachtlichen Teil der Einrichtungen, sie haben viel Erfahrung mit der Erziehung zur Moral, und sie sind gerne bereit, sich die Verwaltung ihrer Einrichtungen teilweise in der Währung 'anerkannter Kompetenz' entlohnen zu lassen. Deutlicher gesagt, mit Machtzuwachs.

Zwar ließe sich hierzu einwenden, die Kirchen trügen in diesen ihren eigenen Einrichtungen ohnehin nur höchstens zwanzig Prozent der Kosten, und sie seien im Streichen derzeit noch rigoroser als der Staat; auch gehöre zur "Erfahrung mit Erziehung" ein hierzulande gänzlich unbewältigter Skandal um Schutzbefohlene; und überhaupt sei die Trägerschaft dort besonders leicht, wo der Eigenanteil an den Kosten gegen Null geht, während alle kirchlichen Sonderrechte erhalten blieben. Aber wer solches an dieser (des Autors) Stelle täte, verschlösse sich dem Wunder, daß Mutter Kirche für weniger Leistung mehr Einfluß in den hütenden Schoß fallen soll.

Wie das in der Praxis aussieht, durften wir erfahren, als Ursula von der Leyen (CDU, Familienministerin) als Obwalterin eines weiteren putzigen Alibi-Etatchens gemeinsam mit Georg Sterzinsky (katholischer Kardinal, Berliner Erzbischof) und Margot Käßmann (evangelische Landesbischöfin von Hannover) am 20. April die Bundespressekonferenz nutzte, um ihr frisch konstituiertes "Bündnis für Erziehung" vorzustellen.

Kompetenz im Dreierpack

Mögen Plätze für die Kleinsten auch rar und teuer sein, zumindest das soziale Lernen soll dort künftig gezielt und "werteorientiert" gefördert werden. Da eine normale Kindergärtnerin dazu neigen könnte, an dieser Stelle etwas verständnislos dreinzuschauen, mußte schon erklärt werden, worin das Neue und gesellschaftlich Bedeutende des frisch erklärten Bündnisses besteht. Diese dankbare Aufgabe übernahm die Familienministerin:

von der LeyenKinder sind von sich aus fragende und damit religiöse Wesen. Sie fragen, "Woher komme ich? Wohin gehe ich?" und sie brauchen Antworten auf diese Fragen. Sie müssen Werte in ihrem gesamten Lebensumfeld, und dazu gehört der Kindergarten, erlernen.

Hier wird dem staunenden Volke ersichtlich, daß diese siebenfache Mutter ganz außergewöhnliche Kinder hat. Andrer Leut's Kinder stellen solche metaphysischen Fragen frühestens in der Pubertät, um ihren Standpunkt zu finden. Generationen von Philosophen haben sie nicht mit letzter Gewißheit beantworten können. Und warum nicht? Weil sie nach Antworten suchten, statt den Fragen einfach Werte entgegenzustellen. Und da schon das Fragestellen nicht etwa ein Akt der Neugier, sondern eine ganz natürliche religiöse Tätigkeit ist, liegt auf der Hand, woher die antwortenden Werte stammen. Das Genie offenbart sich im Einfachen.

Nachdem die Ministerin aus ihrer alltäglichen familiären Erfahrung heraus ganz routiniert zwei Menschheitsprobleme in drei Sätzen erklärt und gelöst hatte, war auch klar, warum diese Dreier-Runde gebraucht wird: Die gute Frau kann – bei aller Belastbarkeit – unmöglich in jedem Kindergarten für die religiösen Nöte der Kleinsten da sein. Kommen wir also zu den wirklich wichtigen Dingen, widmen wir uns der Tagesordnung.

Die Macht ...

Wie als Lehrbeispiel für vorgelebte Aufrichtigkeit gab es zur Begründung kirchlicher Kompetenz ein Exempel in kreativem Prozentrechnen. Im Bereich der Kindergärten, so hieß es, hätten die Kirchen unter den freien Trägern einen Anteil von 72 Prozent. Diese Zahl kommt hin, wenn man ministeriell auf der hohen Ebene des Bundes denkt, also folgerichtig die "unteren Chargen" der Gemeinden gar nicht erst mitrechnet – und weiterhin großzügig darauf verzichtet, derweil über den kirchlichen Eigenaufwand nachzudenken. Zudem macht ein hoher Prozentsatz ebensogroßen Eindruck (wird daher auch gerne von Radio Vatikan übernommen*) und demonstriert mehr Leistung, als reale 44 Prozent aller Kinderbetreuungsplätze ausdrücken würden. Und schließlich erspart so eine kleine zurechtgebogene Zahl die Frage, warum über die Hälfte der freien Träger nicht mitreden darf. Sie gibt bereits selbst die Antwort.

Wenn dann Eltern, Erzieher und Lehrer, Humanisten und Wissenschaftler, Juden und Moslems, Bekenntnisfreie und Wohlfahrtsverbände allesamt beiläufig erfahren, daß sie ja im Herbst (zu den dann geltenden Bedingungen) noch hinzukommen dürften, wird auch ersichtlich, warum "Achtung" und "Teamgeist" nicht zu den Werten zählen, deren geplante Förderung verkündet wurde. Hier wurden ganz öffentlich erst einmal Prioritäten gesetzt und Verhältnisse klargestellt.

Wie diese Verhältnisse liegen, erklärte die Ministerin denn auch geduldig:

von der LeyenAuf christlichen Werten basiert unsere gesamte Kultur

Diese Aussage übergeht großzügig, daß unsere Kultur der Gleichberechtigung, Freiheit und Demokratie auf humanistischen und univeralitären Werten beruht, die in mehr als hundert blutigen Jahren gegen den erbitterten Widerstand von weltlichen und geistlichen Herrschern durchgesetzt wurden.

Allerdings ist das obige Zitat unvollständig. Diese zierende Perle sakulärer Neutralität bildete nur den sanften Auftakt zu zwei erstaunlichen schriftreifen Sätzen, die in mildem, aber bestimmtem Ton vorgetragen wurden:

von der LeyenAuf christlichen Werten basiert unsere gesamte Kultur, und wir sind der Meinung, wir müssen zunächst einmal die eigene Position definieren, so wie man die eigene Muttersprache lernt, bevor man fähig ist, andere Sprachen zu erlernen. Es müssen die eigenen Positionen klar sein und vermittelt werden, auch in ganz einfachen Formen am Lebensanfang, um später sich dann auch anderen Religionen öffnen zu können.

In dieser Leyenschen Lesart kann die "eigene Position" auch für Heiden (Moslems, Juden, Bekenntnisfreie, Atheisten, Humanisten, etc.) einzig die allein seligmachende christliche Religion sein. Und das Monopol für soziale Werte liegt bei den Kirchen.

Es sind Auftritte wie dieser, mit denen sich Frau von der Leyen den Titel "Ministerin mit dem sichersten Gespür für politische Fettnäpfchen" hart und redlich erarbeitet.

... und ihr Preis

Die vorwitzige Frage, was dieses "Bündnisses für Erziehung" kosten werde, löste zwar zunächst leichte Peinlichkeit aus, doch dann klärte die Hohe Geistlichkeit auf. Bischöfin Käßmann stellte klar: "Wo evangelisch draufsteht, muß auch evangelisch drin sein." Und Kardinal Sterzinsky ergänzte: "Da sind wir auf staatliche Unterstützung angewiesen."

Will sagen: Die Kirchen bleiben zwar Träger und bestimmen die Musik – die aber wird (nach dem Vorbild von Bochum und Dortmund) bittesehr künftig von anderen bezahlt. Bei so viel Deutlichkeit wird selbst des Autors naseweiser Kommentar entbehrlich.

Wert-Färberei

Natürlich verträgt eine Bundespressekonferenz nur wenige deutliche Aussagen, und selbst die wenigen nur eher beiläufig und am Rande. Wer jemals glaubte, der Beruf des Färbers sei hierzulande ausgestorben, betrachte die Aufzeichnungen zu dieser Pressekonferenz. Was hier an gesammelter Sprach-Färberei vorgestellt wurde, verdient das Prädikat 'Kollektion'. Da gab es Schön-, Um-, Wort- und Wert-Färberei in ebensolcher Fülle wie trefflich nuancierter Abstimmung. Kirche und Staat zeigten sich in feinster Harmonie. So entströmten der Ministerin auch schöne Sätze wie dieser:

von der LeyenWerte wie Respekt, Verlässlichkeit, Vertrauen und Aufrichtigkeit sind Leitplanken, die unseren Kindern helfen, ihren Weg ins Leben zu finden.

Da diese Tugenden den Kindern anscheinend nicht etwa verstärkt vorgelebt, wohl aber künftig gezielt abgefordert werden sollen, kann es gewiß nicht schaden, sie von ihrer semantischen Umfärberei zu befreien, den neusprachlichen Lack abzukratzen und konkret zu benennen, worum es im Werte-Katalog der Ministerin geht:

Hilfsbereitschaft • Nächstenliebe
Respekt und Verläßlichkeit • Gehorsam und Pflicht
Vertrauen und Aufrichtigkeit • Glaube und Bekenntnis

Ist schon arg, wer fragt, warum die alten Kleider neue Farben tragen?

Es wäre weder gerecht noch zutreffend, hier den Eindruck entstehen zu lassen, alle guten alten Tugenden und Werte seien nur indirekt benannt worden. An anderer Stelle ließ uns die Ministerin auch ganz deutlich wissen, auf welchen Gebieten der Rat der Drei offenbar so schwerwiegende "Erziehungs-Defizite" ausgemacht hat, daß es der Erwähnung bedarf – und folglich endlich mal gezielt (und unter tätlicher kirchlicher Beihilfe) im Kindergarten beigebracht werden müsse:

von der LeyenDas sind Dinge wie Teilen, dahinter verbirgt sich der Wert der Gerechtigkeit, Helfen, dahinter verbirgt sich der große Wert der Solidarität, das sind Dinge wie sich durchsetzen, daraus wächst später Mut und Zivilcourage, oder auch Nachgeben, Grenzen und Regeln, der Respekt vor dem Nächsten.

Mit Grausen ahnt die Leserschar, daß auf medienbekannten Berliner Schulhöfen nur die Fortsetzung eines Dramas ruchbar ward, dessen Anbeginn schon weit früher lag. Und bang fragt sich der Autor, wann wohl die "Krabbelgruppe des Grauens" der Zeitung Titel BILDen wird...

Ein letztes Zitat sei noch als Beispiel dreingegeben, um den Zustand entrückter Unschuld zu dokumentieren, den die Ministerin in jener Runde unter Abwerfung historischer Last erreichte:

von der LeyenDie ersten 19 Artikel unseres Grundgesetzes fassen doch im Prinzip die zehn Gebote zusammen

So wird die Bibel zur Mutter des Grundgesetzes – und Gottvater zum Schöpfer alles Gegenwärtigen.

Zwar basiert Demokratie auf der Idee der Gleichwertigkeit aller Menschen. Zwar fußt der christliche Glaube auf Gebot und Gehorsam. Aber wen interessieren schon derlei feinsinnige Unterscheidungen, wenn solch wundervolle Gemeinsamkeiten beschworen werden können? Frau von der Leyen offenbar nicht.

Was fehlt?

• Das neue Bündnis für eine "werteorientierte Erziehung" will, so die frohe Botschaft, geeignete "Bausteine" erarbeiten, die der großen Aufgabe dienlich sein sollen. Das klingt seltsam vertraut. Hatte nicht erst kürzlich das Bundes-Projekt "Nationale Qualitätsoffensive" mit dem Ziel frühkindlicher Sprachförderung "Bausteine" entwickelt – um damit am Rotstift zu scheitern? Und nun paart sich ein bekanntes Wort mit einer bekannt klammen Kassenlage und bereits angekündigten Streichungen. Wie jedoch mit weniger Geld in weniger Einrichtungen und mit weniger Personal dennoch bei mehr Kindern eine größere Stärkung der Tugend zu bewirken sei – das läßt sich wohl wirklich am besten mit denen klären, die sich mit Wundern auskennen. Wäre dies deutlich gesagt worden, hätte sich manches Mißverständnis vermeiden lassen.

• An den "sozialen Brennpunkten" gilt es derweil, nicht nur viele Sprachen, sondern auch viele religiöse Vorstellungen in Einklang zu bringen und auf Harmonie und Toleranz zu trimmen. Auf sprachlichem Gebiet folgt das Motto "Schulsprache = Landessprache" praktisch einsichtigen Gründen, es wird sich daher auch ohne Gebot umsetzen lassen. Wenn aber auf ethischem Gebiet "Moral = Pax Romana" angeboten wird, so gibt dies dem Wunsch Raum, die Verbündeten Glorreichen Drei mögen ihren Blick für Landschaft und Ziel öffnen.

• Gänzlich vermißt wurde der überfällige Abschied von einem Drei-Klassen-Schulsystem, bei dem die "Restschule" längst zur Verwahr-Anstalt für künftige Arbeitslose verkommen ist – was jedoch einer realistischen und an Lösungen orientierten Denkweise entspräche. Zum Glauben des Autors gesellt sich eben immer wieder gerne unsinnige Hoffnung.

Was bleibt?

Bei Licht betrachtet, ist das vorgestellte "Bündnis" zweierlei:

• Einerseits sehen wir voller Bewunderung, wie unsere Regierung schnell, kompetent und zielbewußt darauf reagiert, daß (dank jahrzehntelanger Versäumnisse) ein Neuköllner Schulhof in die Schlagzeilen geriet: Aktionismus als Symbol für tatkräftiges Einschreiten braucht in erster Linie schnelle Ergebnisse. Und die flinke Verkündigung, ab Herbst könne man beginnen, gemeinsam mit dann Interessierten im Bündnis zusammenzukommen, ist für Verhältnisse einer Staats-Regierung geradezu pfeilschschnell.

• Zum Anderen ein anerkennenswerter Akt hoher Diplomatie. Die Federführung einer Initiative zu übernehmen und ein Joint Venture mit einem kompetenten Sozialpartner einzugehen, um Synergie-Effekte zu entfalten – das kommt doch ganz anders einher, als sich selbst einfach nur ein Armutszeugnis auszustellen.

Wenn allerdings zur Lösung waschechter Probleme so viel geballte Kompetenz vorgeführt wird wie bei der Vorstellung dieses "Bündnisses für Erziehung" – Dann bleibt (außer einem schalen Beigeschmack) nur die Hoffnung, daß dieses "Bündnis" so enden wird wie andere "Bündnisse", "Allianzen" und sonstigen wohlmeinenden und wohlklingenden Fehlstarts in der Regierungs-Rallye wider alle Realitäten zuvor auch schon: in einem unauffällig schwindenden Dunstwölkchen aus Wortgetöse und ein paar Spesen-Rechnungen für die mediale Aufbereitung. Das wäre immer noch billiger als der Schaden, den es anrichten könnte.

22. April 2006