Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Victor Hugbald im Gespräch mit hajo. Dreyfuß
 Bagdad bei Nacht
   
Irak-Krieg
2003
   Helden-Lächeln  Sieger-Pose
VH :Im ersten Quartal 2003 war der Irak-Krieg in aller Munde, und alle Welt hatte eine Meinung. Nur Du anscheinend nicht. Warum hast Du so ausführlich geschwiegen?
hajo. :Ich war einfach sprachlos vor Entsetzen.
VH :Das bin ich von Dir gar nicht gewohnt. Hast Du inzwischen genug Deiner Worte wiedergefunden, um uns zu sagen, was  Dich so entsetzt hat?
hajo. :Zunächst hat mich der Stil entsetzt, mit dem die Regierung der Vereinigten Staaten den Krieg wieder salonfähig macht.
VH :Zugegeben, Mister George W. Bush ist nicht gerade für sein diplomatisches Geschick bekannt...
hajo. :Das meine ich nicht. Ich spreche von der Unverfrorenheit, mit der offenkundig manipulierte "Beweise" für die angebliche Gefährlichkeit des Irak vorgelegt wurden. Das Ergebnis war die UN-Resolution 1441, die ursprünglich darauf angelegt war, einen automatischen Kriegs-Beginn zu rechtfertigen. Ich spreche von der Verve, mit der brüsk verlangt wurde, das Land solle Waffen abrüsten, die es gar nicht besaß. Von der Dreistigkeit, mit der immer neue Gründe vorgeschoben wurden, aufdaß die "zivilisierte Welt" einen militärischen Überfall bittesehr endlich dulden würde. Und von der unverhohlenen Frechheit, mit der auf ebendiesen den Rest der Welt gepfiffen wurde, als diese dem nachlässig verbrämten Diktat der Supermacht nicht einmütig folgen mochte.
VH :Die Vereinten Nationen (allen voran der krisengeschüttelte Kriegspartner England) fragen sich inzwischen, inwieweit das noch ein "Krieg gegen den internationalen Terrorismus" war...
hajo. : ... während die amerikanische Regierung unverdrossen ihr eigenes Volk verunsichert, indem "Al Qaida" zum unsichtbaren, aber allgegenwärtigen mächtigen Feind stilisiert wird. Ständige Alarmbereitschaft zermürbt. Dann bekommt der Feind in irgendeinem fernen Land einen Namen und ein Gesicht, und den gilt es dann dort zu besiegen. Natürlich nur aus reiner Notwehr. Deshalb, und weil der böse Gegner sich nicht an die Spielregeln hält, darf denn auch ganz offen die Genfer Konvention gebrochen werden. Ist das entsprechende Land erst einmal zugrunde gerichtet, interessieren Namen wie Osama Bin Laden oder Saddam Hussein ebensowenig wie die zuvor genannten Kriegsgründe. Wenn der Wiederaufbau sich hinzieht, sind die Vereinten Nationen als humanitäre Handlanger gut genug. Dann ist nämlich schon bald das nächste Land dran, weil es Massenvernichtungswaffen produziert, Terroristen unterstützt, und so weiter.
VH :Viele Leute glauben, eigentlich ginge es im Irak hauptsächlich um Öl...
hajo. :Die Kontrolle über die zweitreichsten Erdölfelder dieses Planeten ist tatsächlich ein prächtiges Leckerchen. Die Erfahrung zeigt, daß Öl viel interessanter ist als der Schutz von Krankenhäusern und Kulturschätzen oder der Wiederaufbau der Strom- und Wasser-Versorgung, von echter Demokratisierung mal ganz zu schweigen. Dennoch halte ich selbst das irakische Öl für eigentlich zweitrangig. In meinen Augen geht es für die USA derzeit um nichts geringeres als die absolute Weltherrschaft, und darum, daß auf diesem Wege wirklich jedes Mittel erlaubt ist.
VH :War der Irak-Krieg also nur eine kleine Episode?
hajo. :Genau das. Die "Achse des Bösen" ist ja schon vor längerer Zeit öffentlich definiert worden, Kollateral-Kriege in der Region werden durchaus in Kauf genommen, und es wird mit der "Befriedung" der arabisch sprechenden Welt nicht aufhören. Das ärgert mich allerdings weniger als der Stil, der jetzt etabliert wird: Der Stärkere nimmt sich ungeniert das Recht roher Gewalt heraus, und der Rest der Welt läßt ihn gewähren.
VH :Moment mal, Du unterschlägst hier aber das "alte Europa", allen voran Deutschland. Die Regierung Schröder hat sich von Anfang an gerade gegen diesen Stil gestellt.
hajo. :Wirklich? Von Anfang an? Davon habe ich nichts mitbekommen, das muß wohl in den "Hinterzimmern der Diplomatie" geschehen sein. Als die Vereinigten Staaten mit allen Anrainer-Ländern verhandelt hatten und nunmehr öffentlich internationalen Beistand einforderten, um ein weiteres Mal den Fall des World Trade Centers zu rächen, tobte in Deutschland ein Wahlkampf, weißt Du noch? Als Schröder diese Wahl dank seiner öffentlichen Ablehnung dann doch ganz unerwartet mit ein paar tausend Stimmen gewonnen hatte, ließ sich die Weigerung ganz gut an, um moralisch gut dazustehen. Der Krieg ließ sich zwar nicht mehr verhindern. Aber man konnte zumindest einige Kosten sparen, wenn man auf allzu aktives Mitmarschieren verzichtete. Daher das kleinliche Beharren auf die UN-Resolution 1441, die das zwischenzeitlich erklärte eigentliche Kriegsziel -- die Absetzung Saddam Husseins -- nicht beinhaltete. Andererseits waren Überflugrechte zu Übungszwecken ebensowenig ein Thema wie etwa kostenloser Schutz der verwaisten amerikanischen Kasernen und sonstiger Einrichtungen. Die "totale Verweigerung" verkümmerte sehr schnell zur diskutierten Stellungnahme, daß deutsche Soldaten wohl besser nicht direkt mitkämpfen sollten. Währenddessen betrieb die Opposition ihre eigene beschwichtigende Außenpolitik, ohne sich dafür auch nur eine ernsthafe Rüge einzuhandeln.
 Dann war der Krieg da, und wir wurden wochenlang mit Bildern und halbgaren Informationen überflutet. Wir durften mit dieser "Mutter aller Kriegsfilme" erleben, wie das künftig sein würde: Unendlich viele Berichte, Meinungen, Stellungnahmen und Analysen prasselten auf uns ein und verstellten uns mit ihren vielen differenzierten Details ganz unauffällig den Blick für das Wesentliche.
 Das ist nun schon ein paar Tage her. Wenn ich mir heutzutage ansehe, wie jetzt gerade die neue Rolle der Bundeswehr innerhalb Europas definiert wird, und wenn ich höre, mit welcher Selbstverständlichkeit ganz öffentlich über Auslands-Einsätze nachgedacht wird, dann komme ich zu dem Schluß, daß Krieg auch hier inzwischen als gängiges Mittel internationaler Politik akzeptiert wird.
VH :Das erinnert mich an meine Eingangsfrage. Offenbar hast Du durchaus eine Meinung zu diesem Thema. Warum hast Du die nicht gleich gesagt, als es aktuell war?
hajo. :Warum hätte ich das tun sollen, während Hinz und Kunz sich auf sämtliche Misthaufen stellten und lauthals "Kikeriki" brüllten? Hätte es mir nicht ohnehin die Sprache verschlagen, ich wäre es schon meiner Narrenkappe schuldig gewesen, zu schweigen. Außerdem ist der Irak-Krieg durchaus noch aktuell, weil er seit seinem offiziellen Ende ganz fleißig als Guerilla-Krieg weitergeht.
VH :Ich fasse mal eben zusammen: Du sagst, der Stärkere setzt sich durch, und sei es mit blanker Gewalt. Dies gelte nun also auch wieder in der Weltpolitik. Und das mißfällt Dir.
hajo. :Dir etwa nicht?
VH :Der Gedanke gefällt mir ganz und gar nicht. Was schlägst Du also vor?
hajo. :Gar nichts. Wenn Kinder sich mit Prügel durchsetzen wollen, hilft zuweilen noch eine pädagogische Maßnahme. Schon mancher Rüpel wurde zur Besinnung gebracht, wenn niemand mehr mit ihm spielen oder reden mochte. Politik indes ist ein Spiel für alte Männer, da kommt jede Erziehung zu spät. Es gäbe nur ein Mittel, das diese Entwicklung ein Wenig verlangsamen könnte, aber das ist derzeit nicht in Sicht.
VH :Breiter Protest der Völker?
hajo. :Der hatte doch stattgefunden. Er wurde von den jeweiligen Regierungen ignoriert, heruntergeredet oder niedergeknüppelt.
VH :Was dann?
hajo. :Die konsequente Wiedereinführung eines fast vergessenen Amtes: An den Schaltstellen der Macht gehört jedem Entscheidungsträger ein Hofnarr zugeordnet. Narren dürfen und sollen ihren Herren auch mal deutlich sagen, wann sie anfangen, sich kindisch zu verhalten. Aber wer will das schon hören?
VH :Nehmen wir einmal an, Du wärest heute bestallter Hofnarr des amerikanischen Präsidenten geworden. Was würdest Du ihm dann sagen?
hajo. :Ich würde wohl sagen: "Mister President, Ihr habt völlig recht: Wer gegen das Völkerrecht verstößt, wer mutwillig Krieg vom Zaun bricht, und wer international geächtete Waffen entwickelt oder hortet, der sollte schleunigst vom Thron gestoßen werden, noch ehe er größeren Schaden anrichten kann. Wer sich als Diktator zu erkennen gibt, der gegen den erklärten Willen seines Volkes handelt, gehört auf der Stelle entmachtet. Schon, wer nicht durch das Ergebnis einer einwandfreien demokratischen Wahl herrscht, sondern seine Stellung durch Spitzfindigkeiten behaupten will, muß ohn Verzug abgesetzt und erneut zur international überwachten Wahl gestellt werden -- und weigert er sich, gilt es, ihn mit allen Mitteln und ohne Säumen unschädlich zu machen. Wie gut, daß es Euch gibt, der eifrig über Recht und Ordnung wacht.
 Mister President, nach all diesen Euren eigenen Regeln habt Ihr Euch selbst den sofortigen Krieg zu erklären. Zieht Ihr es vor, abzutreten, oder wollt Ihr Euch lieber sogleich entleiben?"
August 2003