Ansichten eines  fast  normalen Bürgers
Victor Hugbald im Gespräch mit hajo. Dreyfuß
   
Flut-Pfennig
 
Die Überschwemmungen im August 2002 richten verheerende Schäden an. Die Regierung ist -- gänzlich ungeachtet des Wahlkampfes -- bestrebt, die Not zu lindern (Kanzler-Wort: "Da machen wir was!") und die Schäden zu begrenzen. Da die geringen verfügbaren Mittel möglichst gerecht verteilt werden sollen, wird zunächst viel beraten und wenig gezahlt.
Indes verspricht der Kanzler spontan, niemand solle nach der Flut materiell schlechter dastehen als zuvor. Dieser Slogan geht allerdings ans Eingemachte: Allein die offiziellen Schätzungen belaufen sich auf 9,2 Mrd. Euro Gesamtschaden, von denen ganze sieben Milliarden (auf Antrag) an die Geschädigten ausgezahlt werden sollen. Das wirft die Frage auf, woher das benötigte Geld kommen soll.
VH :Dürfen Steuern erhöht werden, um den Opfern der Flut-Katastrophe zu helfen?
hajo. :Nein, das ist in meinen Augen der falsche Weg. Alle Steuern fließen im Bundes-Haushalt zusammen, und dort gibt es dann keine Zweckbindung mehr. Niemand kann garantieren, daß diese Einnahmen wirklich nur den Opfern der Flut zugute kommen. Die Versuchung, auch andere Löcher zu stopfen, ist einfach zu groß.
VH :Bist Du also gegen staatliche Hilfe?
hajo. :Keineswegs. Wo bei unverschuldeter Not niemand mehr einspringt *, ist der Staat gefordert. Aber auch Papa Staat muß sehen, wo er das Geld herbekommt, das er ausgibt.
VH :Was also wäre nach Deinem Geschmack?
hajo. :Was ich unterstützen würde, wäre eine sozial gerechte Abgabe von 0,5 Prozent in einen "Katastrophen-Fonds", die auf höchstens vier ganze Monate beschränkt ist.
VH :Das sagt sich leicht, ist aber in der Praxis ziemlich kompliziert...
hajo. :Das stimmt allerdings. Ich führe den einfachen Satz von der "sozial gerechten Abgabe" daher mal etwas aus:
 'Abgaben' werden auf dem selben Weg erhoben wie Steuern...
VH :Die Preise steigen.
hajo. :Allderings ist die Verwendung von Abgaben zweckgebunden. Sie dürfen nur dem Zweck dienen, der dafür vorher erklärt wurde (Das mach Abgaben auch so riskant: spätere Neben- und Folgekosten sind nicht in der Rechnung). Der Unterschied besteht darin, daß Überschüsse aus Steuern direkt verbraten werden können (leider auch für Prestige-Projekte, unnötige Ausgaben oder skandalträchtige Zwecke). Was aus Abgaben übrig bleibt, muß für möglichst ähnliche Zwecke aufgehoben werden.
 Eine Regierung, die mir solch ein Opfer abverlangt, soll allerdings auch bitte belegen, daß sie daran nicht selbst am Rande dazuverdienen will.
VH :Das würde die Armen noch ärmer machen. Ein Ausgleich muß her.
hajo. :Eben. 'Sozial gerecht' ist so eine Abgabe in meinen Augen nur, wenn sie den Armen nichts nimmt.
 Wer die Preise für alle Waren und Dienstleistungen erhöht, muß auch sämtliche Sozialleistungen im selben Maß erhöhen. Eine Soli-Abgabe von 0,5% auf alle Waren und Dienstleistungen bedeutet auch eine Anhebung um 0,5% bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kurzarbeitergeld, Krankengeld, Wohngeld, Kindergeld, Sozialhilfe, sämtlichen Renten, und so weiter. Kleinkrämerische Gegenrechnungen wegen eventuell mehrerer Leistungen müssen hier auf jeden Fall unterbleiben: Eine Abgabe, die neuen Armen hilft, kann und darf im Härteausgleich auch den bisherigen Armen etwas beistehen. Das ist weitaus besser, als ihnen zum Schluß im Namen sozialer Gerechtigkeit doch noch das Bißchen Brot abzuschneiden.
 Überdies muß die Abgabe steuerbegünstigt sein. So ist beispielsweise der Einkommensteuer-Satz für diesen Zeitraum ohne Einschränkungen um 0,5% zu senken. Zusätzlich müssen zweckgebundene Spenden zu diesem Thema ohne Ausreden und Hintertürchen in voller Höhe von der Einkommen- und Umsatz-Steuer absetzbar sein. Mir fiele noch einiges mehr ein, aber ab hier finge ich allmählich an, eine Abgabe als 'sozial gerecht' zu bezeichnen.
VH :Und das alles will natürlich bürokratisch korrekt verwaltet sein...
hajo. :Natürlich verschafft all diese Rechnerei eine Menge Arbeit und verringert damit die verbleibenden Einnahmen beachtlich. Aber es hilft nicht wirklich, einem alten Bettler die Krücke abzusägen, nur weil der neue Bettler eine braucht.
VH :Und trotz der zu erwartenden immensen Verwaltungskosten plädierst Du für 'zeitliche Begrenzung'. Da bleibt unterm Strich aber nicht mehr viel übrig.
hajo. :Das kommt darauf an, wie gut es vorab organisiert wurde.
'Zeitlich begrenzt' ist sehr wichtig: Mitleid hat Grenzen.
 Wer über ein Dritteljahr hinweg "gemolken" wird, kennt und reut inzwischen den Preis der Solidaität. Es wäre gut, nach höchstens drei Monaten aufzuhören. Wer vier ganze Monate überschreitet, handelt sich Mißtrauen ein.
VH :Das alles klingt ziemlich durchdacht und sinnvoll. Notwendig scheint es auch, und auf den ersten Blick wirkt Deine Idee sogar kurzfristig machbar. Andererseits sehen unsere Gesetze solche Wege bislang nicht vor. Bist Du zu utopisch?
hajo. :Im Augenblick sind diese Vorstellungen tatsächlich eher am Rande der Realität. Deutschland war auf Katastrophen noch nie gut vorbereitet. Derzeit fehlt hier ein Gesetz für zweckgebundene Sondererhebungen bei regionalen Katastrophen. Ich bin allerdings überzeugt, daß derlei gerade eben erarbeitet wird und in seiner Zielsetzung noch große Ähnlichkeit mit dem hat, was ich eben so umständlich erörtert habe.
VH :Und wenn Du Dich hier irrst?
hajo. :Das glaube ich nicht.
VH :Was macht Dich so sicher?
hajo. :Die Alternative hieße: Vorsorgen, daß sich solch eine Katastrophe nicht wiederholt. Derlei verlangt die Fähigkeit zu vorausschauendem Denken über mehrere Jahrzehnte, zum Planen für die Erben der übernächsten Generation. Den wenigen Politikern, die das mitbringen, steht eine Wirtschaft entgegen, die sich wesentlich mehr am möglichen Profit orientiert. Du darfst mich ja gerne utopisch nennen. Aber das geht denn doch nicht so weit, daß ich unsere armen Volksvertreter gänzlich überfordern will... -
  Du guckst so träumerisch. Was hast Du?
VH :Ich stelle mir gerade folgendes vor:
 Im übernächsten Sommer steht wieder das halbe Land unter Wasser. Die hoch gepriesenen Vorsorge-Maßnahmen der Zwischenzeit erweisen sich als pure Kosmetik, und natürlich fehlt es weiterhin an einem angemessenen Katastrophen-Plan als auch an Ideen, wie die Schäden diesmal zu bezahlen seien. Dein schönes Gesetz wäre zwar geplant, aber irgendwo in den Unterausschüssen versickert.
 Und dann stelle ich mir vor, Dich an dieses Gespräch zu erinnern. Dann würde ich Dich nämlich fragen: "Und nun? Was ist aus Deinen tollen Ideen geworden? Was sagst Du jetzt?"
hajo. :Ich würde zerknirscht dreinschauen und sagen: "Ich hätte ahnen sollen, daß die Kohl-Ära noch immer nicht vorüber ist."
VH :Dann würde ich überrascht fragen, was Du damit denn sagen wolltest, und was das bitte mit dem eigentlichen Problem zu tun habe.
hajo. :Ich würde Dir unschuldig entgegnen, daß ich in der Ursache auch die Lösung gefunden hätte...
VH :... während ich davon ausginge, Du hättest Deinen Verstand nun endlich restlos verloren. Ich stünde italienisch gestikulierend vor Dir und fragte Dich: "Ach ja? Erklär mir das. Und sage mir bitte ganz praktisch, was denn jetzt Deiner Meinung nach geschehen soll. Bitte!"
hajo. :"Ganz ruhig." würde ich sagen. Und dann würde ich Dir erklären, vom alten Bundeskanzler Kohl stamme ein sehr erfolgreiches politisches Konzept, das die physikalischen Gesetze der Zeit und der Massen-Trägkeit vereint. Die Formel laute: "Die meisten Probleme lassen sich durch konsequentes Aussitzen lösen."
VH :Äh... - Ich würde wohl recht verdattert fragen, was das besagen solle...
hajo. : Und diese Antwort fiele mir leicht. Die neuen Probleme, würde ich sagen, wären doch wohl dadurch entstanden, daß unsere Politiker dem Großen Vorbild folgend weder die alten Probleme gelöst noch für neue vorgesorgt hätten. Stattdessen hätten sie sich in striktem Aussitzen geübt, aufdaß genug Gras über die Sache wüchse. Aber genau das löse auch das aktuelle Problem.
VH :An dieser Stelle würde ich wohl ein sehr dämliches Gesicht machen...
hajo. :Weil Du nicht mitdenkst. Überlege doch nur, welche geballte Macht und Masse in der Summe all dieser vielen politisch verantwortlichen Pobacken steckt, wieviel fest gewachsenes Gras sie inzwischen umwuchert...
VH :Du meinst ... ?
hajo. :Genau. Wo Dämme brechen, stopfen wir einfach die verantwortlichen Politiker hinein. Mit dem Hintern voran. Du wirst sehen: Das hält.
September 2002